Immersives Lernen für eine klimaresiliente Nachbarschaft
Der Weg zu einer digitalen Lernumgebung für angehende Ingenieur*innen für den Kompetenzerwerb zur Realisierung angewandter Forschungs- und Entwicklungsarbeit für regionale Klimawandelanpassungsmaßnahmen.

Ausgangslage
Starkregen, Hitzeperioden, Überschwemmungen – Extremwetterereignissen nehmen seit Jahren in Dauer und Intensität zu. Sie sind gesundheitsgefährdend, existenzbedrohend, quasi die klimatische Peripetie der Gegenwart. Um die lokalen Auswirkungen der Klimaveränderungen aufzeigen und entsprechende Handlungsfelder ableiten zu können, entwickelten viele Städte und Kommunen Strategiepapiere. Mit unserem Bildungsmodul „Klima:reaktion“ knüpfen wir an ein solches Strategiepapier an und befähigen die Studierenden anhand der eruierten Bedarfe und Maßnahmen aus der Klimawandelvorsorgestrategie (KWVS) der Region Raum Köln/Bonn e.V. an Lösungskonzepten für eine Klimaanpassung in ihrer Region mitzugestalten. Mit Klima:reaktion erzielen wir die Entwicklung eines neuen interdisziplinären Moduls für angehende Ingenieur*innen an der TH Köln.
Unser Ansatz
Mit diesem neuen Modul erhalten die Student*innen die Möglichkeit, disziplinübergreifend zu forschen und zu entwickeln und damit den Folgen des Klimawandels in seiner Vielfalt und Dynamik zu begegnen. Dafür erweitern Sie ihr Wissen bezüglich regionaler Klimafolgen und entwickeln Open-Source-Montoring-Konzepte für relevante Umweltfaktoren (z.B. Temperatur, Bodenfeuchte, pH-Wert). Darüber hinaus setzen sie gemeinsam mit Stakeholdern (Vereinen, Institutionen, Verwaltungen) Produkt- und Prozesslösungen für konkrete Handlungsfelder (z.B. innerstädtische Hitze, Wald- und Forstwirtschaft, Wassermanagement) um. Das Modul unterteilt sich dabei in vier Phasen. Nach dem Auftakt, der ersten Wissensvermittlung zu den Handlungsfeldern und Impulsen aus der Wissenschaft, wählen die Studierenden in ihren Arbeitsgruppen ein Thema aus, lernen ihre Ansprechpartner*innen/Stakeholder und die jeweiligen Bedarfe kennen, gehen in die Recherchearbeit und erarbeiten ein bedarfsgerechtes Monitoringkonzept für einen konkreten Einsatz vor Ort. In der anschließenden Arbeitsphase entwickeln die Modulteilnehmenden gemeinsam mit den Projektpartnern/Stakeholdern Produkt- und Prozesslösungen (z.B. Prototypen) bevor abschließend die Ergebnisse präsentiert und bewertet werden.
Erfahrbare Klimaszenarien für einen motivierten Kompetenzerwerb
Methodische Herangehensweise
Raus aus dem Elfenbeinturm der Hochschullehre und rein in die hitzebelastete Innenstadt, in den kränkelnden Wald oder in das hochwassergefährdete Wohngebiet!
Die Suche nach einem geeigneten Lehrformat
Die hohe Verdichtung unterschiedlichster Anforderungen an die Studierenden ließ uns bereits recht frühzeitig im Entwicklungsprozess des Moduls nach einer Lösung suchen, um nachhaltigkeitsbezogene Inhalte auf eine Weise zu vermitteln, die den Erwerb der Kernkompetenzen zur Gestaltung von nachhaltiger Entwicklung ermöglicht. Die klassischen Formen der Wissensvermittlung genügen insbesondere für angehende Ingenieur*innen nicht mehr, um NE-Kompetenzen erwerben zu können.
Begriffserklärung: immersiv
Der Begriff „immersiv“ beschreibt eine Techonologie, welche die Nutzer*innen komplett in eine virtuelle Welt eintauchen lässt, sodass das Gefühl aufkommt, in dieser digitalen Welt physisch anwesend zu sein und aktiv an dem Erlebnis teilzunehmen. Es gibt viele verschiedene Technologien und Erfahrungen, die als immersiv bezeichnet werden können. Besonders bekannt sind Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR). VR lässt die Benutzer*innen in eine komplett computergenerierte Umgebung eintauchen, wohingegen AR Informationen und virtuelle dreidimensionale Objekte in der realen physikalischen Umgebung präsentiert.
Orientierung durch digitalen Lernpfad
Aktueller Stand der Entwicklung
In Zusammenarbeit mit der Agentur World of VR haben wir zum Handlungsfeld „Thermische Belastung im Siedlungsbereich“ eine immersive Lernumgebung kreiert. Als Setting fiel die Wahl auf die Küche der Museumswohnung in der Germaniasiedlung in Köln Höhenberg/Vingst, da laut Hitzeaktionsplan der Stadt Köln in diesem Veedel die Menschen ab 60+ die Hitze im Sommer als besonders belastend empfinden. Somit haben wir einen thematischen Bezug vom Handlungsfeld zum digitalen Schauplatz unserer immersiven Lernumgebung herstellen können. Mit der Software 3DVista Virtual Tour Pro formierten sich die vor Ort aufgenommenen 360°-Bilder der Küche zu einer digitalen Umgebung, in der sich die/der Nutzer*in frei bewegen und die räumlichen Gegebenheiten selbstständig erkunden kann. Doch die technischen Neuerungen allein können zu keinem didaktischen Progress führen. Zur Technik müssen auch immer passende didaktische Methoden und organisatorische Strukturen gewählt werden (Lilligreen & Wiebel, 2019). In diesem Sinne fügten wir „Red Buttons“ ein, mit denen sich verschiedene Lerntools öffnen lassen und die den digitalen Lernpfad innerhalb des Settings aufzeigen. Die Lerntools dienen zur Wissens- und Kompetenzvermittlung und werden im Laufe der virtuellen Tour zum Download zur Verfügung gestellt. Als Lerntools haben wir zum Beispiel Podcasts mit Wissenschaftler*innen produziert, Videointerviews mit Expert*innen aufbereitet, Anleitungen für bestimmte Web-Tools erstellt, aber auch Factsheets, wissenschaftliche Paper, Broschüren und anderweitig thematisch relevante Informationen recherchiert, aufbereitet und als Lerntool in die digitale Lernumgebung eingebettet.
Gamification als zusätzlicher Motivator
Eine weitere Möglichkeit zur Stärkung der Motivation und zur Steigerung der Leistungsfähigkeit stellt laut zahlreichen Studien und Forschungsarbeiten Gamification als ein in der digitalen Lehre etabliertes didaktisches Mittel dar. In den letzten Jahren haben sich hierbei unter anderem das Punktesystem, Progress Bars oder Badges zu den gängigsten Game-Design-Elementen etabliert. In unserer immersiven Lernumgebung setzen wir das Spielelement des Storytellings ein, indem der ältere Herr, der als Protagonist durch unser Lernsetting führt, z.B. von seinen Erfahrungen als ehrenamtlicher Online-Pate für Senior*innen berichtet und erzählt, mit welchen gesundheitlichen Risiken sich seine in Köln lebenden Eltern bei sommerlichen Hitzeperioden ausgesetzt fühlen. Durch diese narrative Komponente schafft die digitale Umgebung eine Analogie zur „realen Welt“ und gewinnt so an Bedeutsamkeit.
Begleitung und Prüfungsleistung
Die Zusammenarbeit mit den Stakeholdern, der Einsatz von Sensorik, projektbasierte Forschungs- und Entwicklungsarbeit und Wissensvermittlung mittels virtueller Lernumgebung – in unserem Modul kommt einiges zusammen. Um einen regelmäßigen Austausch mit den Studierenden gewährleisten und insbesondere zu Beginn des Moduls Fragen und Unklarheiten direkt klären zu können (und unser Modul entsprechend anzupassen), kombinieren wir nach dem Prinzip des Blended Learnings Präsenzveranstaltungen mit Zeiten des digitalen Lernens. Ein steter Austausch mit den Studierenden wird zudem durch regelmäßig angebotene (Online-)Sprechzeiten sowohl in den Präsent- als auch in den Digital-Zeiten des Moduls gewährleistet. Somit offeriert das Modul in den Zeiten des digitalen Lernens begleitete Selbstlernzeiten.
Darüber hinaus sollen die Studierenden im Laufe des Moduls Lernportfolios erstellen, um sowohl ihre Arbeitsfortschritte zu dokumentieren als auch ihre eigene Arbeit und Rolle innerhalb der Arbeitsgruppe zu reflektieren. Neben der mündlichen Präsentation der Arbeitsergebnisse (Anteil: 80%) in den Arbeitsgruppen ergänzt das Lernportfolio (Anteil: 20%) die abschließende Prüfungsleistung.
Sie möchten mehr erfahren?
Weitere Informationen zum Projekt Klima:reaktion und die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme finden Sie auf der Webseite.
Fazit und Ausblick
Derzeit arbeiten wir an einer neuen Lernumgebung zum Handlungsfeld Wald und möchten zudem für das Handlungsfeld Wassermanagement ebenfalls ein digitales Lernsetting erstellen. Für dieses Setting werden wir auch einen KI-gestützten Avatar entwickeln und damit das Portfolio der bisher eingesetzten Game-Design-Elemente um ein neues Element erweitern. Die digitale Umsetzung der Lernumgebungen wird künftig TH-intern stattfinden. Der Pilotdurchlauf zum Modul findet im Sommersemester 2025 statt.
Gegenwärtig steigt das Interesse an VR für die Hochschullehre unter anderem durch die Möglichkeit, logistisch schwierige Aufgaben abzubilden sowie aufgrund positiver Ergebnisse aus aktuellen Wirksamkeitsstudien. Immersive Technologien bieten viele Möglichkeiten für das erfahrbare interaktive Lehren und Lernen – insbesondere für den Erwerb von BNE-Kompetenzen. Die Gestaltung und Nutzung virtueller Welten in der Hochschullehre ist jedoch immer noch herausfordernd und stellt nach wie vor eine Hürde für die breite Etablierung dar. Neben technischen Barrieren beeinträchtigen auch individuelle Faktoren, wie eine unzureichende Expertise in den Bereichen Softwareentwicklung und 3D-Modellierung, einen vermehrten Einsatz der Technologien in der Hochschulbildung (Müser & Fehling, 2021). Zudem sind bisher kaum didaktische Konzepte zur Realisierung solcher Lernumgebungen vorhanden (Hochberg et al. 2017, Zender et al. 2018), obwohl AR- und VR-Anwendungen ihre Potentiale erst entfalten können, wenn eine didaktische Gestaltung ihres Einsatzes zugrunde liegt (Buchner et al. 2020). Vor diesem Hintergrund möchten wir im Rahmen des Moduls mit begleitender wirkungsanalytischer Forschung ein hochschuldidaktisches Konzept erarbeiten und damit langfristig zum (hochschuldidaktischen) Kapazitätsaufbau der Themen Klimawandel, Klimaanpassung und Einsatz von VR-Technologien in den Studiengängen der TH Köln beitragen.
Sie haben Fragen?
Dann wenden Sie sich direkt an lehrpfade@th-koeln.de!