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Geschlechtervielfalt in der Hochschullehre

Wie kann ich als Lehrperson einen Lehr- und Lernraum schaffen, in dem sich alle wohlfühlen? Dafür gibt es gewiss nicht den einen Leitfaden als Universallösung. Doch durch die Auseinandersetzung mit vielfältigen Identitäten und eigenen Stereotypen können diskriminierende Strukturen und unbewusste Vorannahmen abgebaut werden. Im folgenden Beitrag erfahren Sie, wie Sie Ihre Lehre gendersensibel gestalten können.

Kurz erklärt: Geschlechtervielfalt

Gerade hinter dem Wort „Geschlecht“ verstecken sich viele Bilder, die nicht zwangsläufig die Identität der bezeichneten Person abbilden. Interaktionen von Erwachsenen mit Babys sind schon früh von einem vermeintlichen Wissen um das Geschlecht geprägt. So wurden in einem erziehungswissenschaftlichen Experiment Mias zu Manuels und Leons zu Lisas umbenannt. Dies hatte zur Folge, dass mit den vermeintlichen Manuels ausschließlich mit Autos gespielt wurde und bei den vermeintlichen Lisas Puppen das Spielzeug der Wahl der Erwachsenen waren. So zeigt sich schon früh, wie die geschlechtsspezifische Einordnung von Namen, Aussehen oder Kleidung Wahrnehmungen und Handlungsmuster beeinflussen.

Meist erfolgt diese Einordnung anhand der Kategorien männlich oder weiblich. Doch Geschlecht ist vielfältig. Spätestens mit der Änderung des Personenstandsgesetzes 2018 (§ 22 Absatz 3) ist die Sichtbarkeit von geschlechtlicher Vielfalt zu Teilen auch gesetzlich verankert worden. Eine kleine Übersicht zu geschlechtlicher Vielfalt bietet die Begriffsdefinitionsliste.

Begriffseinführung

Cisgeschlechtliche Menschen identifizieren sich mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.

Inter* Personen unterscheiden sich in ihrer Anatomie oder Physiologie von den herkömmlichen Erwartungen an eine männliche oder weibliche Person.

Nicht-binäre Menschen sind Menschen, die sich im binären Zwei-Geschlechter-Modell nicht wiederfinden und sich nicht ausschließlich, sowohl als auch oder gar nicht als Mann oder als Frau identifizieren.

Trans* ist ein Oberbegriff für Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, identifizieren (was auch auf nicht-binäre Menschen zutrifft, weswegen sich manche nicht-binäre Menschen dem Oberbegriff trans* zuordnen).

Geschlechternormen in der Hochschule 

Dennoch sind die meisten öffentlichen Sphären wie Hochschulen und Universitäten zweigeschlechtlich gestaltet. Geschlechternormen produzieren Ausschlüsse (Stern, 2019). Leider sind Diskriminierungserfahrungen von inter*, trans* und nicht-binären Personen an Hochschulen keine Seltenheit. In der Hochschule nicht auf die Toilette gehen zu können oder im Seminar ständig misgendert zu werden, erschwert das Studieren.  

Richtig ansprechen – nur eine Frage der Höflichkeit?

Wenn Personen einem falschen Geschlecht zugeordnet werden und/oder über sie mit falschem Pronomen gesprochen wird, wird das als misgendern bezeichnet. Die Anrede und das Pronomen richtigstellen oder sich dafür rechtfertigen zu müssen, ist erschöpfend und spricht inter*, trans* und nicht-binären Personen ihre Identität ab (ADS, 2017).  

Das kann bei inter*, trans* und nicht binären Studierenden zu Stress, Erschöpfungszuständen und Rückzug führen und somit auch zu Studiumsverzögerungen oder -abbrüchen. Diese Barrieren und Diskriminierungserfahrungen sind für nicht betroffene Personen meist unsichtbar (Hornstein, 2019). Damit ein Lehr- und Lernumfeld geschaffen werden kann, indem sich alle wohlfühlen, braucht es die Auseinandersetzung mit geschlechtersensibler Lehre. 

Schritt für Schritt: Geschlechtervielfalt in der Hochschullehre begegnen 

  • Abfrage von Namen und Pronomen. Nicht zwangsläufig muss der Name von Personen mit den Namen in den Anmeldelisten übereinstimmen. Vor einer Veranstaltung können Sie Ihren Studierenden die Möglichkeit eröffnen, sich per E-Mail oder ähnlichem an Sie zu wenden, um Ihnen Namen und Pronomen mitzuteilen. Manche nicht-binären Menschen verwenden Neopronomen. Neopronomen umgehen binäre Pronomen wie „sie“ oder „er“. Mehr Informationen zu Neopronomen bietet das Gleichstellungsbüro der TU Dortmund.
  • Bei kleineren Veranstaltungen wie Seminaren bietet es sich an, die Nennung der Pronomen in die Vorstellungsrunde zu integrieren.
  • Manche trans*, inter* und nicht-binären Studierenden wissen vielleicht nicht, welche Pronomen sie im Lehrsetting verwenden möchten, daher sollte die Pronomenvorstellungsrunde kein Zwang sein.
  • Sich selbst mit Pronomen im Lehrkontext vorzustellen, signalisiert Unterstützung. Gerade die eigene Vorstellung mit Pronomen kann eine Signalwirkung an trans* und nicht-binäre Studierende haben und ermöglicht eine bessere Teilhabe.  
  • Studierende im Seminar mit Vor- und Nachnamen ansprechen anstatt mit Herr/Frau. Geschlechtsneutrale Ansprachemöglichkeiten sind beispielsweise: Duzen, Vorname + Nachname oder Vorname + Siezen. Es bietet sich an, das individuell im Lehrsetting mit den Studierenden auszuhandeln. 
  • Geschlechtsneutrale Formulierungen bei E-Mails. Nicht zwangsläufig lässt sich aus Namen die Geschlechtsidentität ablesen.  
  • Für trans* und nicht-binäre Personen ist es oft ein alltäglicher Stress, eine sichere, öffentliche Toilette zu finden. Informieren Sie sich, ob und wo in Ihrer Hochschule die nächste All Gender-Toilette ist. 
  • Wenn Ihnen als Lehrperson misgendern passiert ist, können Sie sich selbst kurz korrigieren oder wenn man unsicher ist, kann man Personen in der Pause nach ihren Pronomen fragen.
  • Studierende dazu anhalten, korrekte Namen und Pronomen füreinander zu verwenden, bei misgendern und deadnaming sollten Lehrende einschreiten. 
  • Darstellung von Geschlechternormen in Lehrinhalten und -materialien kritisch reflektieren und thematisieren. Auch in naturwissenschaftlichen oder technischen Fächern spielt Geschlecht eine größere Rolle, als oft gedacht wird. So sind diskriminierende Algorithmen keine Seltenheit (Orwat, 2019). Und auch in der Medizin findet die Gesundheitsversorgung von Inter- und Trans* Personen wenig bis gar keinen Platz im Lehrplan. In Fallbeispielen in Jura finden sich teilweise stereotype Geschlechterdarstellungen wieder wie „die Hausfrau“.. Hierbei kann ein Ansatz sein, den Seminarplan mit Kolleg*innen zu reflektieren oder/und die Perspektive von Studierenden miteinzubeziehen.
  • Es ist hilfreich, bei der Materialauswahl die eigene Positionierung mitzudenken und darüber nachzudenken, inwiefern Ausschlüsse aus der eigenen Perspektive erwachsen können.  

Viele Stellen und Texte von trans*, inter* und nicht-binären Personen bieten informative Literatur:

In diesem Video spricht Prof. Dr. Antje Langer (Universität Paderborn) über geschlechtersensible Bildung.

Hintergrund: Projekt „Diskriminierungsfreie Hochschule“

Im Rahmen des Projekts „Diskriminierungsfreie Hochschule“ wurden in Zusammenarbeit mit elf Partnerhochschulen sowie verschiedenen Expert*innen Diskriminierungsfaktoren und -risiken, Indikatoren zur Verhinderung von Ungleichbehandlung sowie Good Practices zur Sicherung von Diskriminierungsfreiheit erhoben (ADS, 2012).

Rechtliche Grundlagen

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.  

Gesetz zur Abschaffung von Benachteiligungen auf Grund des Geschlechts oder der sexuellen Identität, AGG § 1 Ziel des Gesetzes

Grundlage für die geschlechtersensible Lehre sind das Deutsche Grundgesetz (Artikel 3, Absatz 3), das Personenstandsgesetz (§ 22), der Vertrag von Amsterdam (Artikel 6a), sowie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz

Links & Literatur

Header-Bild: © Pixel-Shot/Adobe Stock

  • Michele Seidel hat trägt eine graue Jacke und einen roten Pullover, hat lange blonde Haare und helle Haut.

    Michéle Seidel (M.A.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Zentrum für Lehrentwicklung der Technischen Hochschule Köln mit Fokus auf die Bereiche Hybride/Digitale Lehre, Soziale Online-Lernumgebungen, Wissenschaftskommunikation und Forschung.

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