Warum man an der Hochschule noch selbst schreiben sollte
Künstliche Intelligenz sorgt dafür, dass bisherige Lehr- und Prüfungsmethoden und Kompetenzerwartungen an Hochschulen neu verhandelt werden müssen. Wieso sollten sich Studierende überhaupt noch durch einen mühsamen Schreibprozess quälen, wenn die KI Texte auf Befehl generieren kann? Wir beleuchten das Schreiben an der Hochschule als Lerngegenstand und Denkwerkzeug und stellen seinen immensen Wert für den Bildungsprozess dar – auch im Zusammenspiel mit Künstlicher Intelligenz.
Der Stellenwert des Schreibens in der Hochschullehre
Welche Funktionen erfüllt das Schreiben für den Kompetenzerwerb an der Hochschule?
Texte sind das zentrale Kommunikationsmittel für die Wissenschaft. Das Schreiben von Texten ist zugleich ein kaum zu unterschätzendes Denkwerkzeug, das dazu verhelfen kann, neue Ideen zu generieren, Wissen zu vernetzen und kritisches Denken zu schulen. Das heißt, dass Schreiben nicht bloß als ‚Transportmittel‘ für Wissen und Informationen dient, sondern auch eine epistemisch-heuristische Funktion erfüllt. Schreiben einschließlich Berechnungen, Erstellen von Zeichnungen, CAD und weiteren Visualisierungen ist somit für alle Fächer wichtig, um zugleich fachliche Inhalte zu erarbeiten und fachliches Denken einzuüben und zu vertiefen.
Neben Haus- und Abschlussarbeiten, die das wissenschaftliche Schreiben trainieren, sind an der TH Köln auch andere Textsorten wie Portfolios, Seminar- und Versuchsprotokolle, Praktikums-, Praxis- und Reflexionsberichte, Dokumentationen und weitere praktische schriftliche Prüfungsformen von Bedeutung. Textsorten sind Muster, an denen sich Schreibende bei der formalen und inhaltlichen Gestaltung eines Textes orientieren und die Lesende als Erwartung an die formal-inhaltliche Gestaltung an einen Text herantragen. Durch das Lesen und Schreiben verschiedener Textsorten lernen Studierende, wie in ihrem Fachbereich Fragen gestellt und Probleme gelöst werden. Sie können sich durch ein reflektiertes Textsortenwissen auch schneller an neue Kommunikationssituationen in der wissenschaftlichen wie auch der beruflichen Praxis anpassen. Insbesondere das Schreiben im Hochschulkontext ist durch einen komplexen kognitiven Prozess gekennzeichnet, für dessen Bewältigung Studierende individuelle (Schreib-)Strategien entwickeln müssen. Wissenschaftliches Arbeiten und Schreiben erfordert ein Zusammenspiel verschiedener Teilkompetenzen (Informations-, Lese- und Schreibkompetenz, aber auch generische Teilkompetenzen wie Selbstregulation oder digitale Kompetenzen) sowie Wissen über Inhalte, Sprache oder Adressat*innen (s. Abbildung). Somit zielt das wissenschaftliche Schreiben auf höhere Lernzielebenen wie Analyse, Synthese und Beurteilung und muss schrittweise gelernt und gelehrt werden, ohne und in Zukunft auch mit KI. Beides sollte aus unserer Sicht in die Lehre integriert werden, doch nicht als zusätzlicher Lehrstoff, sondern als Werkzeug in der Lehrpraxis, die ganz konkret fachliche wie metakognitive Kompetenzen schult und somit einen Gewinn für alle Seiten darstellt.
Inwiefern verändert die Nutzung von KI beim Schreiben den Kompetenzerwerb?
Durch den Einsatz von Large Language Models (LLM) bzw. von KI-generierten Texten verschieben sich die Kompetenzen, die für das wissenschaftliche Schreiben erforderlich sind: Schreibende verfassen keine Texte mehr von Grund auf, sondern sie weisen sprachverarbeitende KI an, Text zu generieren und prüfen, beurteilen und überarbeiten die KI-generierten Textelemente. Dieses Phänomen ist bereits in der Techniksoziologie (Rammert, Schulz-Schäfer, Latour u. a.) und der Kybernetik als Verschiebung von ausführenden Handlungen in Mensch-Maschine-Interaktion bekannt, wie die Nutzung von Navigationsgeräten veranschaulicht: Die Maschine berechnet eine vom Menschen vorgegebene Route. Der Mensch prüft, ob die geplante Route realistisch ist, seinem Bedarf entspricht und richtet sich in der weiteren Anwendung nach den Vorschlägen der Maschine. In dieser Kompetenzverlagerung steckt Potenzial, aber sie birgt ebenso Unwägbarkeiten und Gefahren. Die Funktion des wissenschaftlichen Schreibens – auch mit KI – bleibt dagegen das Erkenntnisinteresse eines Menschen, also die Epistemik des Schreibprozesses. Für das Schreiben an der Hochschule und im Anschluss daran im Beruf kann die Nutzung des THKI GPT-Labs neue Möglichkeiten zur Kompetenzentwicklung auch mit Blick auf Future Skills (wie technologische, transformative oder ethische Kompetenzen) eröffnen, doch auch dies muss ganz konkret in der Lehre gemeinsam mit Studierenden eingeübt und reflektiert werden.
Wie lässt sich KI gewinnbringend und verantwortungsvoll für das wissenschaftliche Schreiben nutzen?
Der Schreibprozess ist geprägt von fachlichen Konventionen, individuellen Strategien und bisherigen Schreiberfahrungen, aber auch durch die zur Verfügung stehenden Werkzeuge und Technologien, mit deren Hilfe Text entsteht: Notizbuch, Computer und nun auch maschinelle Intelligenz können kognitive Prozesse beeinflussen und entlasten, so dass Kapazitäten frei werden für andere Denkaufgaben. Daher ist davon auszugehen, dass KI-Tools Schreib- und somit auch Wissenschaftspraktiken beeinflussen werden und vice versa. In welchem Ausmaß sich wissenschaftliche Praktiken und Konzepte von Autor*innenschaft verändern werden, ist derzeit noch nicht abzusehen. Das Fundament für wissenschaftliche Texte bilden nach wie vor die Prinzipien guter wissenschaftlicher Praxis: Der*die Verfasser*in trägt die Verantwortung für den eigenen Text und muss transparent und kritisch mit fremder und eigener Forschung und dem Zustandekommen der Ergebnisse umgehen. Daher wird es für Sie als Lehrende umso wichtiger, Studierende die fachlichen Schreibpraktiken in der Lehre einüben zu lassen, damit für sie etwa die Funktion der vollständigen und korrekten Angabe von Quellen, die Richtigkeit von Berechnungen, die Normenkonformität technischer Zeichnungen und von CAD-Darstellungen usw. deutlich wird. Es ist an Ihnen, den Studierenden zu vermitteln, dass es sich dabei nicht um eine langweilige Pflichtübung oder ein zu vernachlässigendes Oberflächenphänomen handelt: Nutzende bleiben nicht nur für die formale Richtigkeit des Textes verantwortlich, den die Maschine generiert. Natürlich bleiben Menschen auch die verantwortende Instanz, um beispielsweise zu prüfen,
- ob eine Forschungsfrage einer Hausarbeit geeignet ist,
- ob der Zusammenhang zwischen mehreren Arbeitshypothesen richtig ist,
- ob die gewählte Methode geeignet ist, um das Forschungsanliegen zu klären,
- ob Einzelaussagen im generierten Text richtig oder falsch sind – das gilt auch für Visualisierungen –,
- ob generierte Aussagen für die Leserschaft nachvollziehbar sind und den Erwartungen den jeweiliger Lesenden, also der Textsorte, entsprechen,
- ob der Aufbau und die Argumentation schlüssig sind,
- ob von der Maschine angegebene Quellen überhaupt existieren,
- ob die für das Thema relevanten Quellen im Text enthalten sind und
- ob die angegebenen Quellen wissenschaftlichen und möglicherweise sogar ethischen Standards entsprechen.
Nach derzeitigem Stand ist es für Studierende nach wie vor unerlässlich, alle Bestandteile des Schreibprozesses auch ohne KI-Tools bewältigen zu können, um sie zielführend und reflektiert einzusetzen. KI-Tools können den Schreibprozess an vielen Stellen entlasten oder effizienter gestalten. Studierende können die bekannten KI-Tools unter Ihrer Anleitung in Bezug auf Folgendes explorieren: Vorschläge einholen für die Themenfindung/Ideen-generierung, Strukturierungsansätze für Texte, Feedback zum selbstständig erstellten Text auf den Ebenen der Rechtschreibung, Zeichensetzung, des Layouts, der Zitationsregeln, möglicherweise auch zum Ausdruck oder gar Inhalt.
Ein Risiko könnte darin bestehen, dass Studierende gerade beim ersten wissenschaftlichen Schreiben im Studium (in einigen Fächern im ersten Semester, in anderen erst mit der Abschlussarbeit) überfordert und nicht im wissenschaftlichen Arbeiten ausgebildet sind. Sie könnten dann ganze Texte von ChatGPT generieren lassen und diese übernehmen, ohne die oben genannten formalen und inhaltlichen Aspekte kritisch zu prüfen. So stellt sich für Lehrende die Frage, ob die Studierenden, die nun ein Studium aufnehmen, ebenso wie ihre Kommiliton*innen höheren Semesters auch in der Lage bleiben müssen, einen wissenschaftlichen Text selbstständig ohne generative KI verfassen zu können. Alternativ stellt sich die Frage, ob sich grundsätzlich Lehrmethoden und Prüfungsformen etwa durch Einbindung einer mündlichen Prüfung oder Verteidigung von schriftlichen Arbeiten ändern müssen. Dies könnte die Grundlage bleiben, um auch Texte anderer auf ihre Wissenschaftlichkeit hin zu überprüfen und letztlich gegebene Informationen kritisch einschätzen und bewerten zu können. Diese Kompetenz bleibt eine der wesentlichen Kompetenzen, die Studierende während ihres Studiums erwerben und für ihr späteres Berufsleben, vor allem auch als Bürger*innen einer demokratischen Gesellschaft benötigen. Was bedeutet dies nun ganz konkret für das Lehren und Lernen an der Hochschule?
Hinweise für die Praxis
Die Weiterentwicklung von KI ist sehr dynamisch und daher ist es ratsam, auf dem Laufenden zu bleiben. Am Ende des Artikels finden Sie entsprechende Empfehlungen für aktuelle Publikationen und Videos zum Thema. Wir betreten mit der Arbeit mithilfe von KI-Tools Neuland und es stehen noch eine Menge Forschungsvorhaben und deren Ergebnisse aus, um auf deren Grundlage fundiert Vorschläge für die Praxis machen zu können. Nach derzeitigem Stand (März 2024) möchten wir Ihnen aber folgende fünf Anregungen für die Praxis mitgeben.
Handreichungen für Studierende zum Schreiben mit KI
… vom Schreibzentrum der TH Köln
… vom Zentrum für Lehrentwicklung der TH Köln
Irgendwelche Fragen?
Dann wenden Sie sich direkt an lehrpfade@th-koeln.de!
Literatur und weiterführende Links
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